Coach Mikis Pausenansprache hatte eine klare Botschaft: «Lieber knapp 7:6 gewinnen, als das 4:2 verwalten.» Und auch Abwehrrecke Simon stimmte zu: «Die haben extrem schnelle Stürmer, da kann es schon nochmals scheppern.» Weiter nach vorn spielen war also angesagt. Dass mit gutgemeinten Worten noch nichts gewonnen ist, merkte etwas später auch Rückkehrer Vögi, als er sich kurz vor Schluss vom Spielfeldrand aus lauthals bemerkbar zu machen suchte, um seine etwas aus dem Tritt geratenen Depo-Schäfchen durch die letzten Minuten zu pushen. So war es letztendlich fast mehr dem Unvermögen der Eglisauer geschuldet, dass Depo den knappen 5:4-Sieg im ersten Meisterschaftsspiel über die Zeit brachte.
Das Auf und Ab dieses Spiels hatte schon vor Anpfiff begonnen. Nachdem Miki in den letzten Spielen nur mit viel Mühe und Aufwand (herzlichen Dank dafür!) elf Spieler auftreiben konnte und dazu tief in die Friendslist greifen musste, konnte er diesmal bereits am Samstagabend eine Aufstellung präsentieren, wo doch einige Positionen doppelt besetzt waren. Der Coach blieb seinem ausgeklügelten Konzept treu und stellte das inzwischen bekannte ein 3-5-2 auf, wo er selber auf der 6 die Fäden in der Hand hält. Die Verteidigung vor dem Stammkeeper Simon war mit Vögi, Schumm, Simon, Bene und Jonas hervorragend besetzt. Im Zentrum sollten Morris, Serge, Icaro und die starken Gastspieler Matteo und Arnold das Spiel an sich reissen, während sich die Flügelspieler Reto, Jonathan, Loris und meine Wenigkeit auf den Aussenbahnen abmühten. Im Sturm zählten wir auf Thiago und die weiteren Gastspieler Sandro und Serafin. (Shoutout an den Vorstand, der wieder mal komplett auf dem Platz stand.)
Was sich der Coach von dieser Aufstellung erhoffte, war klar: Attraktives Spiel nach vorn mit viel Ballbesitz und Dominanz im Mittelfeld, sowohl um eigene Angriffe zu lancieren als auch um des Gegners Angriffe im Keim zu ersticken. Flexible Aussenspieler helfen hinten aus, sind aber auch vorne präsent und rücken situativ nach innen, wenn sich das Spielgeschehen in die ferne Platzhälfte verlagert. Und vorne attackieren zwei Sturmspitzen den Spielaufbau oder unterstützen das kompakte Mittelfeld mit Backchecking. Vorbei sind die Zeiten des Allerwelts-4-4-2 oder des Angsthasen-5-4-1. Depo spielt mit, egal gegen wen. Vladimir wäre stolz.
Doch keine Minute war gespielt, als prompt der erste Rückschlag erfolgte. Nach einem ersten Ballverlust im Mittelfeld schalteten die Eglisauer blitzschnell um, überspielten die offensiv positionierten Depos, passten rasch an den 16er, wo einer dieser Sonntagstschüteler den Ball gekonnt am machtlosen Simon vorbei in die Ecke schob. Wir rieben uns die Augen und applaudierten höflich. Nur einer schien gänzlich unbeeindruckt und lief wenige Minuten später mit dem Ball am Fuss los, übers halbe Feld, und als sich das gegnerische Tor am Horizont abzeichnete, setzte er an und hämmerte den Ball dreissig, vierzig Meter durch die Luft, wo er über dem verdutzten Torwart unter der Latte einschlug, als wären wir in Dresden, 1945. Dieser Mischung aus purer Willenskraft, Eleganz und vollendete Technik hält nur ein Körper stand, natürlich ist es «El Presidente» Vögi.
Diese fussballerische Offenbarung zeigte Wirkung. Plötzlich waren wir präsent, hielten besser dagegen, standen näher beim Mann und agierten alles in allem einen Tick schneller. Dabei wurde auch ersichtlich, dass die Eglisauer doch eher wenig aus ihren spielerischen Anlagen machten, ja, einer schien sich gar als Tagesziel gesetzt zu haben, all seinen Gegenspielern ein Tunnel zu schieben, was auch oft gelang, jedoch meinst mit überschaubarem Vorteil in Bezug auf das allgemeine Spielgeschehen. In unseren Reihen zeichnete sich insbesondere unser Gaststürmer Serafin total Depo-untypisch dadurch aus, dass er konsequent und direkt den Abschluss suchte. Die ersten paar Versuche gingen noch mehr oder weniger deutlich daneben, aber dann – inspiriert vom grandiosen Vögi und «The Art of the Lob» –schlenzte den Ball gekonnt zur erstmaligen Führung in die linke hohe Ecke.
Die Reaktion der Eglisauer blieb nicht aus und nach einer Ecke, seit Jahren eine Schwäche, stand es plötzlich wieder unentschieden. Wie dieser Gegentreffen im Detail entstanden war, entzieht sich meiner Erinnerung, vermutlich stimmte die Zustimmung nicht oder wir waren im Kopfballduell unterlegen oder wir konnten den Ball nicht klären, bis er irgendwie den Weg ins Tor fand. Das ist im Grund auch unerheblich, denn Serafin hatte noch lange nicht genug und produzierte kurz danach eine Kopie seines Treffers von vorhin, was dem gegnerischen Keeper einen Frustrationsschrei entlockte, als der Ball über ihn hinwegflog. Das 4:2 noch vor der Pause war dann die Krönung der Leistung unseres neuen Stürmerjuwels und seines kongenialen Partners Sandro, die die Erinnerung an Tom verblassen liessen. Mit einem einfachen Doppelpass umspielten sie die gesamte Eglisauer Verteidigung, als ob sie seit der B-Jugend nichts anders gemacht hätten, der Abschluss, flach und platziert gegen die Laufrichtung des Torwarts, verdient das Prädikat Weltklasse, zumindest in den Massstäben der Liga.
Danach war Pause, der Gegner konsterniert ob den eigenen Ansprüchen und wir wähnten uns siegessicher. Die oben erwähnten Worte waren aber genau das: Worte. Wir würden einfach so weitermachen, nochmals vier Tore nachlegen und wenn sie noch eines reinwürgen, auch nicht so schlimm. Naja, vielleicht nicht ganz.
Eglisau kam energetisch aus der Pause. Sie investierten mehr, pressten früher mit ihrem schnellen Stürmer und erarbeiteten sich einige Chancen. Vor dem Tor aber waren sie zu wenig kaltblütig. Entweder droschen sie den Ball überhastet weit neben und/oder über das Tor oder sie dribbelten so lange, bis irgendein Bein, ein Fuss oder auch ein Hinterteil den Weg zum Tor versperrte. Depos Beteiligung am Spiel beschränkte sich je länger je mehr auf folgendes: kurzes Abspiel von Simon auf einen Verteidiger, der dann irgendwann zu Miki weiterpasste, welcher den Ball weit in die gegnerische Platzhälfte sandte, als ob dort der Geist von Tom auf seine Chance wartete. Danach rannten wir Gegner und Ball hinterher, bis es wieder von vorne begann. Kein Wunder also, dass es Vögi, völlig ausser Atem von einem Ausflug in den gegnerischen Strafraum – als Verteidiger allein ein Pressing aufzuziehen, überstieg jedoch sogar seine Fähigkeiten – beim Zuschauen noch schlechter wurde als von der körperlichen Verausgabung, was zur eingangs erwähnter akustischer Einflussnahme oder deren Versuch von der Seitenlinie führte. Viel genützt hat’s nicht. Doch auch Eglisau fand nicht mehr aus dem Elend und konnte auch mit zwei Freistössen aus guten Positionen nichts anderes anfangen, als – innerlich sich wohl bereits jubelnd vor der Kurve sehend – den Ball am Tor vorbeizuschiessen.
Und so blieb es bei diesem 5:4 zu unseren Gunsten und der ewigen Erkenntnis: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Benno